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StartseiteWissenProdukteGeniale Lösung oder regelwidriges Unterfangen?
16. Dezember 2020
Ein einfaches Abluftsystem für Klassenräume mit Materialien aus dem Baumarkt soll 90% der potenziell Corona-haltigen Aerosole aus der Raumluft entfernen. Experten sehen das kritisch
Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie haben eine Lüftungsanlage konstruiert, die sich mit Materialien aus dem Baumarkt bauen lässt. Die Integrierte Gesamtschule Mainz-Bretzenheim hat die Anlage bereits getestet – mit Erfolg, wie es heißt. Doch Klimaund Lüftungsexperten beurteilen derartige Selbstbaulösungen kritisch.
Schulen stehen während der aktuellen COVID-19-Pandemie vor dem Problem, wie sie während des Unterrichts effizient lüften können, damit der Unterricht sicher stattfinden kann. Insofern scheint die in der Integrierten Gesamtschule Mainz- Bretzenheim nach eigenem Bekunden erfolgreich getestete Abluftanlage zur richtigen Zeit zu kommen. Zumal sie 90 % der Aerosolpartikel aus den Klassenzimmern entfernen soll und in Eigenleistung mit Materialien aus dem Baumarkt montiert werden könne, wie es in einem Bericht aus dem Forschungsinstitut heißt.
Bauanleitung im Internet
Der Aufbau ist simpel: Über jedem Tisch hängt in Deckenhöhe ein breiter Schirm aus Kunststofffolie, der mit dem Abluftrohrohr (HT-Bogen) verbunden ist. Über einen Ventilator wird die Luft ins Freie gesaugt. Erdacht hat sich die Konstruktion Dr. Frank Helleis, dessen Frau Lehrerin in Mainz ist. Dr. Helleis, der am Max-Planck- Institut für Chemie forscht, sieht seine Entwicklung wegen der geringen Material- und Betriebskosten als eine Alternative zum Stoßlüften und teuren Filteranlagen. Da zudem die Anforderungen an den Raum niedrig seien – es brauche lediglich eine Steckdose und ein kippbares Fenster oder Oberlicht –, sei das modulare System beispielsweise auch für Turnhallen geeignet. Ob die Anlage auch an anderen Schulen in Rheinland-Pfalz eingesetzt werden kann, werde derzeit im dortigen Bildungsministeriums diskutiert, heißt es aus dem Max-Planck-Institut für Chemie.
In Kürze soll sogar eine Bauanleitung auf die Webseite des Max-Planck-Instituts für Chemie online gestellt werden. Über ein Kontaktformular könnten Interessierte die Anleitung jetzt schon kostenfrei bestellen. Die Mainzer Forscher stehen zudem in Kontakt mit Unternehmen, die einzelne Formteile für die Konstruktion fertigen könnten – das würde den Nachbau noch leichter machen.
Ihre Meinung ist gefragt!
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Dr. Helleis ist überzeugt, dass die Anlage auch nach der Pandemie im Einsatz bleiben wird. „Unser System löst auch das lange bekannte CO2-Problem in Klassenräumen. Denn es befördert nicht nur Aerosole nach draußen, sondern reduziert auch die CO2-Anreicherung, sodass sich die Schüler besser auf den Unterricht konzentrieren können.“
Zugluftfreiheit in Unterrichtsräumen
Ein kurzer Auszug aus dem 28-seitigen Papier „ Anforderungen an Lüftungskonzeptionen in Gebäuden – Teil I Bildungseinrichtungen.
„Die Luftgeschwindigkeit soll im genutzten Unterrichtsaum einen Wert von 0,15 m/s nicht überschreiten. Die Zuluft der Lüftungsanlage sollte eine Temperatur von mindestens 17 °C aufweisen. Die Temperaturdifferenz von einströmender Luft zur Raumluft beträgt im optimalen Fall 2 bis max. 4K. Diese Anforderungen an Arbeitsbzw. übliche Aufenthaltsräume können allein mittels Fensterlüftung oder lediglich mit mechanischen Abluftanlagen bei winterlichen Außentemperaturen in der Regel nicht erreicht werden.“
RLT-Experten sind beunruhigt
Doch es gibt längst nicht nur Lob für die Konstruktion. Walter Weil, ö.b.u.v. Sachverständiger der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main, hält die, wie er sie nennt, „Regenschirmlüftung“ für inakzeptabel, weil sie nicht den geltenden Regelwerken entspricht und laut AMEV 1) für öffentliche Gebäude /Schulen nicht zulässig sei. Weil: „Es ist schon erstaunlich, dass das rheinland-pfälzische Bildungsministerium dieser Bastelei zustimmt. Mit 300 Euro Materialeinkauf von Baumarktartikeln und etwas Eigenleistung ist das Problem der Lüft ung in den Schulen gelöst. Eine ganze Branche wird dadurch in Misskredit gebracht, einschließlich Forschungsinstitute, die aus Untersuchungen Lösungsansätze empfehlen, wie man die Raumluft gerade in Klassenzimmern ohne Virenbelastung zur Verfügung stellen kann. Diese Installationen kann man als „öffentliche Schwarzbauten ohne Baugenehmigung“ bezeichnen und sie stellen insbesondere für Gerätehersteller der RLT-Branche, für TGA-Planer sowie Fachbetriebe eine Geschäftsschädigung dar.“
Auch Günther Mertz, Geschäftsführer des Fachverbandes Gebäude-Klima, sieht diese Lösung kritisch: „Eine leichte Kippung eines Fensters, wie es in der Presseverlautbarung heißt, dürfte kaum den erforderlichen fünffachen Luftwechsel sicherstellen. Insofern disqualifiziert sich das System selbst. Ein Nachweis über die Luftwechselrate fehlt ebenso wie Angaben zum Volumenstrom. Vielleicht sollte man die Fragestellung in der Überschrift noch ergänzen: … oder peinlich für ein Max-Planck-Institut?“
1) AMEV = Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen.
Lufttechnisches Corona-Schutzsystem zum Patent angemeldet
Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe erreichte uns die Nachricht, dass die Global Engineering Service GBR ein lufttechnisches Schutzsystem vorgestellt hat, welches sich durch eine gezielte Luftführung, einem laminaren Luftvorhang und periodischen Luftwechseln kennzeichnet. Das Verfahren sei darauf ausgelegt, einen geregelten und sicheren Schulunterricht zu ermöglichen. Ein Atemschutz während des Schulunterrichts sei nicht erforderlich, und der verordnete Mindestabstand könne wesentlich unterschritten werden, verspricht das Unternehmen. Der Ansatz erinnert an die hier vorgestellte Lüftung des Max-Planck-Instituts für Chemie.
Wie es heißt, wurde das Verfahren mit den einzelnen technischen Aspekten als Internationales Patent unter PCT/EP/2020/063710 und PCT/EP/2020/065694 angemeldet.
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